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Stillgelegte Gene können krank machen

Meldung vom 02.01.2008 - Die meisten Lebewesen besitzen Erbanlagen in doppelter Ausführung. Eines von der Mutter und eines vom Vater. Fällt ein Gen aus, kann das andere einspringen. Doch was als Schutz des Embryos vor Missbildungen und Krankheiten anfängt, birgt im Erwachsenenalter ein hohes Risiko.

Der Botaniker Gregor Mendel entdeckte im 19.Jahrhundert ein Gesetz, das noch heute jeder im Biologieunterricht lernt: Die meisten Lebewesen besitzen von allen Erbanlagen zwei Kopien – eine vom Vater und eine von der Mutter. Das trägt zu unserer genetischen Vielfalt bei und ist eine Absicherung: Wenn eine Genkopie durch Mutation ausfällt, kann häufig die andere einspringen.

Ein Prozent der Gene sind stillgelegt

Umso rätselhafter ist ein Phänomen, das Forscher erst über 100 Jahre nach Mendel entdeckt haben – das „Imprinting“: Bei einigen Erbanlagen ist eine der beiden Kopien stillgelegt. Bei manchen Genen ist es die Kopie, die ein Mensch von seiner Mutter erhalten hat, bei anderen ist es die vom Vater. „Diese ,genetische Prägung‘ macht den Menschen anfälliger für Krankheiten“, sagt der Genetiker Randy Jirtle von der Duke University in Durham (North Carolina). „Das ist wie ein zweimotoriges Flugzeug, das nur mit einem Motor fliegt – fällt der zweite Motor auch noch aus, stürzt das Flugzeug ab.“

Im Fachmagazin „Genome Research“ stellt Jirtle eine erste umfassende Karte solcher geprägter Gene des Menschen vor. Die Zahl der Gene mit einer ausgeschalteten Kopie erhöht sich damit von 40 bislang bekannten auf 200. Das stimmt mit den Schätzungen der meisten Forscher überein, nach denen etwa ein Prozent der menschlichen Gene stillgelegt sein sollte.

Die meisten der neu gefundenen Gene sind allerdings zunächst nur „sehr wahrscheinliche“ Kandidaten, so Jirtle. Er hat sie mit einem Computerprogramm gefunden, das das Erbgut nach für Imprinting charakteristischen Sequenzen im Erbmolekül DNA abgesucht hat.

„Das ist ein guter Ausgangspunkt für andere Forscher, gezielt zu überprüfen, ob es sich wirklich um geprägte Gene handelt“, sagt der Imprinting-Experte Jörn Walter von der Universität des Saarlandes. Beim Imprinting ist der DNA sozusagen ein molekularer Stempel aufgedrückt, die Erbsequenz selber ist aber nicht verändert. In den meisten Fällen besteht die Prägung offenbar darin, dass an DNA-Bausteine eine bestimmte Molekülgruppe gehängt wird. Diese verhindert, dass die Genkopie abgelesen werden kann.

Von den meisten neuen geprägten Genen ist die Funktion nicht bekannt. „Das sind Gene, die bisher nicht einmal einen Namen haben“, erklärt Jirtle. Dennoch kann der Forscher etwas über sie sagen: Viele liegen in Regionen des Erbguts, die mit Volkskrankheiten wie Alzheimer oder Diabetes in Zusammenhang gebracht werden. „Etwa 30 Prozent der geprägten Gene könnten bei der Krebsentstehung eine Rolle spielen“, sagt Jirtle. Ist etwa eine Genkopie, die die Tumorbildung unterdrückt, ausgeschaltet, reicht eine Mutation in der zweiten Kopie, um den Krebs zu fördern.

Künstliche Befruchtung stört das Imprinting

Andererseits kann auch das Fehlen eines planmäßigen Imprintings fatale Folgen haben, etwa bei solchen Genen, die das Tumorwachstum fördern. Das ist gravierend, da die auf den Genen liegenden Markierungen anfällig für Umwelteinflüsse sind. Jirtle konnte bei Mäusen zeigen, dass eine bestimmte Ernährung Imprinting aufheben kann. Für den Menschen ist das nicht nachgewiesen, aber, so Jirtle, denkbar.

Forscher wissen schon lange, dass ein Imprinting für die Entwicklung des Embryos absolut notwendig ist. Die Gene bekommen noch vor der Befruchtung, bei der Bildung der Eizellen und Spermien, den molekularen Stempel aufgedrückt. Läuft dabei etwas schief, kann dies zu schweren Leiden, wie dem Prader-Willi-Syndrom, führen, das unter anderem zu geistiger Behinderung führt. Offenbar wird manchmal bei der künstlichen Befruchtung das Imprinting gestört. „Leider mussten wir feststellen, dass diese Kinder doppelt so häufig unter diesen Syndromen leiden als natürlich gezeugte“, sagt Walter.

Mütterliche Gene hemmen - Väterliche Gene enthemmen

Imprinting ist also unverzichtbar, macht den Menschen aber verwundbarer. Wie konnte es also überhaupt in der Evolution entstehen? Die meisten Forscher vertreten dazu die Konflikthypothese, die einen Kampf der Geschlechter auf molekularer Ebene beschreibt: Solange der Embryo in der Mutter heranreift, verbraucht er deren Ressourcen. Es ist aber im Sinne der Mutter, mehrere Nachkommen zu haben. Tatsächlich sind viele der mütterlich geprägten Gene wachstumsfördernd – deren Stilllegung sorgt also dafür, dass das Wachstum eines Embryos gebremst wird. Das ermöglicht es der Mutter theoretisch, ihre Nährstoffe auf mehrere Nachkommen aufzuteilen.

Väter hingegen geben zum Nachwuchs nur ihre Spermien dazu. Es ist in ihrem Interesse, dass „ihr“ Embryo mit ihren Genen möglichst viele Nährstoffe aus der Mutter zieht, um seine Überlebenschancen zu erhöhen. Dieser Annahme geben die väterlich geprägten Gene recht: Es sind oft solche, die das Wachstum hemmen. Werden sie ausgeschaltet, kann der Embryo „ungehemmter“ im Mutterleib wachsen. Schließlich gibt es einen weiteren Beweis für die Theorie: Imprinting kommt nur bei plazentalen Säugetieren und den Blütenpflanzen vor – die mit dem Endosperm ebenfalls eine Art Mutterkuchen haben, der den Embryo ernährt.

Zur Originalnachricht auf welt.de - Elke Binder







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