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Der Mann, die Wechseljahre und die Pharmaindustrie

Meldung vom 06.12.2007 - Für die einen sind die "männlichen Wechseljahre" eine der wichtigsten medizinischen Entdeckungen. Für andere sind sie nichts weiter als eine ertragreiche Erfindung der Pharmaindustrie. Die Nazis übrigens befanden Frauen, die in den Wechseljahren über Beschwerden klagten, als willensschwach.

Dr. Hans-Georg Hofer, Medizinhistoriker an der Universität Bonn, hat die Wurzeln der Diskussion untersucht. Die Frage, ob auch der Mann ein Klimakterium durchläuft, sorgte demnach schon Anfang des 20. Jahrhunderts für Auseinandersetzungen. Derzeit wird die Debatte wieder lautstark geführt. Für Dr. Hans-Georg Hofer ist dies allerdings kein Zeichen, dass Männer heute eher zu ihrem Alter stehen. Vielmehr verkaufe die Pharmabranche die Hormontherapie als eine Art Jungbrunnen, mit dem Mann die Zeit einfach zurückdrehen kann.

Schon 1910 schrieb der Berliner Nervenarzt Kurt Mendel einen Aufsatz über das "Climacterium virile", das er als "Nervenleiden" ansah. In den Jahren danach machten viele Forscher die von den Keimdrüsen erzeugten "inneren Sekrete" als Übeltäter aus, die im Alter nicht mehr reichhaltig genug gebildet würden. Der Mann als Marionette seiner Hormone - diese rein mechanistische Denkweise findet sich auch in der aktuellen Debatte.

Medikamente ohne großen Erfolg

"Es gab schon damals an der Idee der ‚männlichen Wechseljahre' viel Kritik", betont Hofer. "Manchen Ärzten fehlte es an einer trennscharfen Definition des angeblichen Krankheitsbildes“, weiß er. Auch heute werde dieser Kritikpunkt noch häufig vorgetragen. Zudem suggerierte der Begriff "Klimakterium", die Alterungsprozesse des Mannes ähnelten stark denen der Frau - eine Parallele, die vielen Kritikern zu weit ging.

Dessen ungeachtet brachte die Gesellschaft für chemische Industrie in Basel (CIBA) 1931 mit Androstin ein Antiklimakterium-Präparat für den Mann auf den Markt. Schering folgte 1932 mit Proviron. "Sonderlich erfolgreich waren beide Medikamente nicht“, so Hofer. Auch den ersten künstlichen Testosteron-Präparaten, die Ende der 1930er Jahre herauskamen, war kein Erfolg beschieden. Zu wenig vertrug sich das Bild vom starken Geschlecht mit der Idee der Wechseljahre. Die Nationalsozialisten hätten das Klimakterium am liebsten sogar noch bei der Frau abgeschafft. Sie taten die Stimmungsschwankungen und anderen Beschwerden als bloßes Zeichen von Willensschwäche ab.

Dass das Thema seit gut zehn Jahren wieder Konjunktur hat, hängt nach Hofers Meinung auch mit den Bestrebungen der Pharmabranche zusammen, sich neue Märkte zu erschließen: "Viagra hat demonstriert, wie viel Geld sich mit der Zielgruppe der alternden Männer verdienen lässt." Vertriebswege wie das Internet hätten zudem völlig neue Möglichkeiten geschaffen, diese Zielgruppe auch zu erreichen.

Männer müssen nicht altern

Hofer registriert in den vergangenen Jahren ein zunehmendes Medieninteresse an männerspezifischen Gesundheitsproblemen. "Man könnte das als Ausdruck der Emanzipation deuten: Heutige Männer verstecken ihre ‚Wehwehchen' nicht mehr, sondern sprechen darüber und lassen sie auch behandeln." Zumindest beim Thema "männliche Wechseljahre" greift dieses Argument aus seiner Sicht nicht: "Hormonpflaster und Testosteron-Injektionen werden häufig mit dem Versprechen beworben, mit ihnen lasse sich die Zeit zurückdrehen", sagt er. Fotos kraftvoller Bogenschützen mit grauen Schläfen versprechen auf Werbeflyern uneingeschränkte Leistungsfähigkeit und ewige Jugend. Bei Frauen dienen die Präparate dazu, Beschwerden während der Menopause zu mildern, bei Männern sollen sie den Alterungsprozess umkehren. "Die Botschaft lautet: Frauen können gegen das Alter nichts machen, Männer dagegen schon."

 Was Hofer an der aktuellen Diskussion zu den "männlichen Wechseljahren" kritisiert, ist die Unvereinbarkeit der Positionen sowie eine Reduktion des alternden Mannes auf seinen sinkenden Testosteronspiegel. „Viele Männer zwischen 45 und 60 haben ganz reale Beschwerden, und manchen kann vielleicht auch mit Hormongaben geholfen werden." Andere wiederum fühlen sich trotz niedriger Hormonwerte pudelwohl in ihrer Haut. "Die Idee, alles auf Hormone zurückzuführen, ist viel zu mechanistisch", meint Hofer. "Als alleinige Erklärung für Altersbeschwerden beim Mann taugt sie nicht."

Der Artikel "Medizin, Altern, Männlichkeit" ist im Band 42/2007 des Medizinhistorischen Journals erschienen.

Zur Originalnachricht auf welt.de







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