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Hirnforschung

Experimente im Gehirn

Meldung vom 20.12.2007 - Leistungsschwankungen werden absichtlich erzeugt, um daraus zu lernen

US-Forscher haben entdeckt, warum auch der geübteste Sänger ein und dasselbe Stück nicht immer gleich gut singt. Dahinter steckt eine ausgeklügelte Lernstrategie des Gehirns: Es sorgt bewusst für winzige Variationen bei den notwendigen Bewegungen und registriert, welche Abweichung zu welchem Ergebnis führen. Dieses Versuch-und-Irrtum-System dient dazu, die persönliche Leistung ständig zu optimieren. Nachgewiesen haben die Wissenschaftler Evren Tumer und Michael Brainard diesen Mechanismus bisher zwar nur bei Singvögeln, sie sind jedoch davon überzeugt, dass das gleiche Prinzip auch beim Menschen dem Lernen von komplexen Bewegungsabfolgen zugrundeliegt.

Verschiedene Leistungsniveaus bei vertrauten, häufig wiederholten Tätigkeiten, wie sie etwa bei Sportlern oder eben auch Musikern vorkommen, gibt es nicht nur beim Menschen, sondern auch bei unterschiedlichen Tierarten. Forscher vermuten daher, dass hinter diesen Variationen ein genereller, gemeinsamer Mechanismus steckt. Einige halten das Phänomen für die Folge einer Art natürlichen Rauschens, das aus einer Ungenauigkeit bei der motorischen Steuerung resultiert. Andere glauben, die Variationen seien so gering, dass sie vom Gehirn als unwichtig eingestuft und daher nicht erfasst werden.

Um zu prüfen, ob es sich tatsächlich um eine Ungenauigkeit in der Steuerung oder aber um eine absichtliche Variation handelt, untersuchten Tumer und Brainard den Gesang von Prachtfinken (Lonchura striata) als Modell für ein erlerntes, komplexes Verhalten. Er ist eigentlich sehr stereotyp, zeigt aber eine typische Bandbreite an Variationen und erfordert zudem eine sehr präzise und schnelle Kontrolle des Bewegungsapparates, die mit Hilfe eines akustischen Feedbacks erlernt wird. Genau das nutzten die Forscher aus: Sie ließen einen Computer die Gesänge der Vögel analysieren und produzierten immer dann, wenn der Grundton einer bestimmten Sequenz leicht nach unten abwich, einen Störton. Innerhalb weniger Tage lernten die Finken, diese Abweichungen zu vermeiden, und nur noch etwas höhere Töne als Grundtöne für die betreffende Sequenz zu verwenden. Die Tonhöhe aller anderen Sequenzen und andere Merkmale wie die Geschwindigkeit oder die Tonabfolge blieben dabei unverändert.

Die Vögel überwachen demnach ständig ihre eigene Leistung, schließen die Forscher. Je nach Ergebnis kann eine Abweichung dann verworfen oder als Basis für neue Variationen genutzt werden. Die feinen Veränderungen spiegeln also ein ständiges Experimentieren des Gehirns wider, das dazu dient, das Verhalten zu optimieren – und das gilt wohl nicht nur für Singvögel, sondern generell, so das Fazit der Wissenschaftler.

Evren Tumer und Michael Brainard (Universität von Kalifornien in San Francisco): Nature, Band 450, S. 1240

wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel


Gene fürs Gesicht

Meldung vom 19.12.2007 - Die Fähigkeit zur Erkennung individueller Züge wird vererbt

Das Wiedererkennen von Gesichtern und Orten ist stärker von den Genen abhängig als das Erkennen anderer Gegenstände oder von geschriebenen Worten. Diesen Schluss ziehen Wissenschaftler um Thad Polk aus einer Studie mit eineiigen und zweieiigen Zwillingen. Die Forscher hatten die Hirnaktivität der Probanden beim Betrachten verschiedener Bilder miteinander verglichen. Gesichter und Orte lösten bei den eineiigen Zwillingen ähnliche Muster im Gehirn aus, während sich diese Motive bei zweieiigen Zwillingen unterschiedlicher auswirkten, zeigten die Hirnscans.

Das Bild des eigenen Autos aktiviert im Gehirn andere Regionen als das Bild eines bekannten Gesichts, hatten bereits frühere Untersuchungen gezeigt. Bei dieser unterschiedlichen Verarbeitung verschiedener Motive im Gehirn spielen die Gene eine wichtige Rolle, konnten die Forscher an 24 eineiigen und zweieiigen Zwillingspaaren zeigen. Die Wissenschaftler hatten den Probanden vier verschiedene Motive präsentiert: ein Gesicht, ein Haus, einen Stuhl oder geschriebene Worte.

Besonders in der für die Bildverarbeitung zuständigen Region des visuellen Cortex stellten die Forscher je nach gezeigtem Motiv unterschiedliche Reaktionen fest. Bilder von Gesichtern und Orten lösten bei den eineiigen Zwillingen ein ähnlicheres Muster im visuellen Cortex aus als bei zweieiigen. Bei der Verarbeitung von Worten fanden die Wissenschaftler hingegen keine großen Unterschiede zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen. Diese Leistung sei eher von den persönlichen Erfahrungen und von der Umgebung abhängig, vermutet Polk. Nach Ansicht des Forschers war in der Evolution die Fähigkeit zum Erkennen von Gesichtern und Orten wichtiger als das Erkennen anderer Objekte und hat sich daher auch genetisch stärker ausgeprägt.

Thad Polk (Universität von Michigan, Ann Arbor) et al.: Journal of Neuroscience, Band 27, S. 13921

wissenschaft.de – Christina Taraschewski


Wie das Gehirn die Körpertemperatur steuert

Meldung vom 17.12.2007 - Forscher entdecken wichtigen Teil des Thermostats im Stammhirn

Ein amerikanisches Forscherduo hat eine Art Thermostat des Körpers identifiziert: Eine Region im Stammhirn, am Übergang vom Rückenmark zum Kleinhirn, vermittelt einem Kontrollzentrum im Zwischenhirn Informationen über die Temperatur der Haut. Ändert sich diese, kann die Steuerzentrale notwendige Maßnahmen wie Zittern oder Schwitzen einleiten, die dafür sorgen, dass die Körpertemperatur stets so konstant wie möglich bleibt. Mit der Wahrnehmung von Hitze oder Kälte hat dieses System dabei nichts zu tun – es arbeitet vollkommen unabhängig davon, ob das Bewusstsein eine Temperaturveränderung registriert oder nicht.

Wenn sich die Umgebungstemperatur verändert, muss der Körper dafür sorgen, dass seine eigene Arbeitstemperatur möglichst wenig in Mitleidenschaft gezogen wird – schließlich ist sie genau so eingestellt, dass alle molekularen Vorgänge optimal ablaufen. Aus diesem Grund leitet er sofort Gegenmaßnahmen wie Zittern, eine Erhöhung der Durchblutung oder auch Schwitzen ein, wenn die Außentemperatur sinkt oder steigt. Verantwortlich für die Befehle, die diese körperlichen Reaktionen auslösen, ist dabei die sogenannte präoptische Region, ein kleiner Bereich des Hypothalamus, der das wohl wichtigste Schaltzentrum für alle automatisch ablaufenden Systeme des Körpers ist. Wie dieses Areal jedoch die Informationen über die Veränderung der Außentemperatur bekommt, war bisher nur teilweise verstanden. So ändert sich zuerst die Temperatur der Haut, was von spezialisierten Nervenzellen registriert und ans Rückenmark gemeldet wird.

An Ratten konnten die Forscher nun zeigen, dass die Signale von dort aus ins Stammhirn weitergeleitet werden: Wurden die Tiere vier Stunden lang bei einer Temperatur von vier Grad Celsius gehalten, begannen Nervenzellen in einer Stammhirnregion namens Nukleus parabrachialis zu feuern. Das aktivierte wiederum die präoptische Region und löste bei den Ratten Zittern, eine erhöhte Herzfrequenz sowie einen beschleunigten Stoffwechsel aus. Wurden die Stammhirnnerven blockiert, reagierten die Tiere nicht mehr auf die Kälte, wurden sie hingegen künstlich stimuliert, setzte das Zittern auch ohne Kälte ein.

Auf die Kälteempfindung hat der Nukleus parabrachialis jedoch keinen Einfluss, konnten die Forscher zeigen. Die Regulation der Körpertemperatur und ihre Wahrnehmung basieren demnach auf zwei verschiedenen Mechanismen, so ihre Schlussfolgerung. Allerdings vermuten sie, dass der Nukleus parabrachialis nicht nur für die Körpertemperatur ein wichtiges Relais ist, sondern auch für andere autonome Funktionen wie den Blutdruck, die Energiebilanz oder den Flüssigkeitshaushalt.

Kazuhiro Nakamura und Shaun Morrison (Oregon Health & Science University, Beaverton): Nature Neuroscience, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1038/nn2027

wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel


Das Hirn des Torwarts beim Elfmeter

Meldung vom 11.12.2007 - Erinnern Sie sich an den Spickzettel von Jens Lehmann bei der letzten Fußball-WM? Forscher haben ermittelt: Es hat geholfen, zu lesen, dass Cruz häufig nach rechts schießt und Ayala nach links unten. Die Neurobiologen erklären, wie jeder seine Reaktion verbessern kann – auch ein Affe.

Blitzschnell hechtete Jens Lehmann, Torwart der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM 2006, genau in die richtige Ecke und hielt zwei von vier Elfmeterschüssen der Argentinier auf sein Tor. Argentinien war besiegt, Lehmann ein Star. Welche Rolle hat dabei der Spickzettel gespielt, auf den Lehmann zwischen den Torschüssen immer mal wieder blickte? Hat es geholfen, zu lesen, dass Cruz häufig nach rechts schießt und Ayala nach links unten? Diese Frage versuchen Neurobiologen der Ruhr-Universität um Professor Klaus-Peter Hoffmann zu beantworten. Sie untersuchen den Zusammenhang zwischen Vorhersagbarkeit und der Reaktionszeit bestimmter Bewegungen steuernder Nervenzellen im Gehirn.

Ein Affe blickt auf den springenden Punkt

Wichtige Hirnstruktur für die Verarbeitung von visuellen Informationen und die Steuerung von Bewegungen ist der Colliculus Superior. Er liegt wie ein Hügelchen auf dem Dach des Mittehirns und setzt eingehende Sinneseindrücke in Bewegungen der Augen, des Kopfes, der Arme und des Rumpfs um. Unter anderem werden hier die Blicksprünge (Sakkaden) gesteuert, die wir etwa dreimal pro Sekunde ausführen. Um die Auswirkungen von Vorbereitung auf die Reaktionszeit der Nervenzellen im Colliculus Superior zu untersuchen, trainierten die Forscher einen Rhesusaffen auf ein einfaches Experiment: Er sollte einen kleinen Punkt auf einem Monitor vor ihm mit den Augen fixieren und ihm mit den Augen folgen. Der Punkt wechselte zweimal seine Position: In einer Phase sprang er immer an dieselbe, vorhersagbare Stelle, in einer Phase sprang er an wechselnde, unvorhersagbare Orte.

Reaktionszeit verkürzt sich deutlich

Die Forscher beobachteten während dieses Experiments die Augenbewegungen des Affen und maßen die Aktivität seiner Hirnzellen im Colliculus Superior. Es zeigte sich, dass die Zeitverzögerung, mit der das Auge dem Punkt folgt, bei vorhersagbaren Sprüngen deutlich kürzer war als bei unvorhersagbaren: Sie verkürzte sich von durchschnittlich 223 auf 165 Millisekunden. Wenn der Affe sowohl wusste, wohin, als auch wann der Punkt springen würde, war die Reaktionszeit besonders kurz, und auch die Nervenzellaktivität im Colliculus Superior unterschied sich deutlich von der bei unvorhersagbaren Sprüngen.

Die Vorbereitung durchs Spicken hat Jens Lehmann also tatsächlich helfen können.

Zur Originalnachricht auf welt.de





Wie das Gehirn seinen Arbeitsspeicher erweitert

Meldung vom 10.12.2007 - Ein Filtersystem trennt wichtige von unwichtigen Erinnerungen

Schwedische Forscher haben ein Filtersystem im Gehirn identifiziert, das die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses erhöht: Es bearbeitet Erinnerungen so, dass nur die wesentlichen Informationen abgespeichert und irrelevante Details verworfen werden. Je effizienter diese Vorauswahl funktioniert, desto besser ist die Leistungsfähigkeit des sogenannten Arbeitsspeichers des Gehirns – des Teils des Kurzzeitgedächtnisses also, der Informationen zum sofortigen Abruf bereithält. Das Filtersystem scheint die individuelle Merkfähigkeit dabei mindestens ebenso stark zu prägen wie die eigentliche Speichergröße, schreiben die Forscher.

Die These, eine große Arbeitsspeicherkapazität lasse sich auf das effiziente Trennen von entscheidenden und unwesentlichen Informationen zurückführen, gibt es schon länger. Um nun die physiologischen Grundlagen dieses Systems zu identifizieren, griffen Fiona McNab und Torkel Klingberg zu einem Trick: Sie führten mit 25 Freiwilligen verschiedene Gedächtnistests durch und sagten ihnen jeweils vor dem Beginn, ob es neben den eigentlich wichtigen Informationen auch solche geben würde, die lediglich der Ablenkung dienten. Anschließend verglichen die Wissenschaftler die Hirnaktivität der Probanden bei der Ankündigung einer Ablenkung mit der vor den Tests ohne eine solche Vorhersage.

Zuständig für das Filtersystem des Gedächtnisses sind demnach drei Hirnareale: der präfrontale Cortex, das Putamen und das Pallidum. Sie werden bereits aktiv, bevor die zu filternden Informationen eintreffen und scheinen daher vor allem für die Vorbereitung des Filtervorgangs wichtig zu sein. Je größer ihre Aktivität dabei ist, desto besser ist später auch die Merkfähigkeit und desto weniger Überflüssiges wird abgespeichert, zeigten weitere Gedächtnistests. Dabei ist nach Ansicht der Forscher der präfrontale Cortex für die Überwachung und Steuerung des Systems verantwortlich, ein Areal, das als eine Art oberste Kontrollinstanz im Gehirn gilt. Putamen und Pallidum, die zu den tiefer im Gehirn liegenden sogenannten Basalganglien gehören, sind hingegen für die eigentliche Ausführung zuständig.

Der Gedächtnisfilter sei also vergleichbar mit einem Pförtner, erklären die Forscher: Er sortiert die hereinkommenden Informationen vor und ermöglicht es dem Arbeitsspeicher so, sich nur auf die wesentlichen zu konzentrieren. Gleichzeitig verhindert er, dass nicht benötigte Daten die begrenzten Ressourcen des Gehirns belegen. Da die Aktivität der für die Filterung zuständigen Hirnareale zudem individuell verschieden ist, erklären die Ergebnisse zumindest teilweise, warum manche Menschen ein gutes und andere ein schlechtes Gedächtnis haben, so die Wissenschaftler.

Fiona McNab und Torkel Klingberg (Karolinska-Institut in Stockholm): Nature Neuroscience, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1038/nn2024

wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel


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by Dr. Radut